Island Extrem – mit dem Bike unterwegs auf Islands härtesten Pisten
Steine spritzen. Ein blauer Jeep stoppt neben dem Bike. „Alles klar, brauchst du was?“. „Nein, alles OK“. „Schönes Wetter! Leichter Wind, ein angenehmer Sommertag!“ – Realitycheck: 3 Grad, 40km/h Wind schräg ins Gesicht, Sprühregen, Wolken hetzen wie unter Termindruck tief über den Himmel. „Nur ein bisschen viel Sonne für meine empfindliche Haut!“. Ein Eins-Null für dich Lächeln huscht über sein Gesicht. Er greift hinter den Sitz, eine 0,5er Dose „Gull“ fliegt mir entgegen. „Genieß dein Abendessen!“. Steine spritzen. Wieder allein.
Sonntagmorgen, Reykjavik, 4:17 Uhr, zehn Tage zuvor. Aus der schummrigen Disko trete ich in das helle Licht der Mitternachtssonne. Was mehr irritiert, die Sonne oder die Gin Tonics, weiß ich nicht. Gefeiert wird hart und ausdauernd. Im hellen, kurzen Sommer den dunklen, langen Winter kompensieren. Bis auf die Partyhotspots ist die Stadt menschenleer.
Einkaufen. Auch Sonntags. Ich packe das Rad für einen frühen Start, genieße noch einmal die Bequemlichkeiten eines Restaurants.
Über Asphalt nach Þingvellir. Hier teilt sich Amerika von Europa – plattentektonisch – und eint sich Island seit 930 – parlamentarisch. Am Infozentrum hält ein moderner Bus. Vollklimatisiert, Entertainmentsystem. Eine Horde schießwütiger Besucher quillt hervor. Ich bin ihr erstes Opfer. Wie Maschinengewehre rattern die Spiegel der Kameras, die Linsen auf das vollgeladene Bike und mich gerichtet. Flüchte mit dem Rad durch die Schlucht an einen wunderschönen, einsamen Campingplatz direkt am See. Ruhe.
Endlich endet der Asphalt. Schotter unter den Reifen, der erste ordentliche Anstieg wartet. Noch ist die Piste breit. Der Untergrund wechselt von Schotter zu einem Gemisch aus Lehm und groben Steinen, die Piste wird enger. Einspurig schlängelt sie sich über eine Passhöhe. Das Wetter schlägt um, Nieselregen. Der Lehm wird glitschig, eine Abfahrt auf rohen Eiern. Feucht vom Regen steht das Zelt an einem Fluss. Morgen beginnt das „echte“ Hochland.
Seit 23 Stunden knattert das Zelt im Sturm. Im weichen Untergrund lockern sich die Heringe ständig. Schwere Steine helfen nur zeitweise. Es knallt. Das halbe Zelt schlägt auf mich ein. Spannschnur gerissen, Gestängeelement gebrochen. Ich breche das Lager ab, schlage mich zu einer Hütte durch. Eine Stunde 45 Minuten für gut Zehn Kilometer. Aufwärmen, durchatmen, trocknen, reparieren. Ein Menschenfreund hat einen Rest Rum dagelassen. Abends legt sich der Sturm, Wolken lösen sich auf, geben den Blick frei auf eine grandiose Gletscherlandschaft.
Kurz vor der Hütte Nýidalur. Im Zentrum der Sprengisandur queren Gletscherflüße die Piste. 2 Grad kalt, Oberschenkeltief, reißend. Gepäck abschnallen, fünf Mal durch die eisigen Fluten waten. Pro Fluß. Deren drei. Der Hüttenwart setzt mich an den Ofen, drück mir einen heißen Kaffee in die Hand. Dankbares lächeln.
Draußen steht das Zelt, in der Küche köchelt die Tütennahrung. Seit sieben Jahren macht der Hüttenwart den Job. Er tippt mit dem Zeigefinger an die Stirn, „im April hab ich da einen Harddisk Error und muss aus der Stadt flüchten“. Er spricht von wenig Wasser, sehr wenigen Touristen und noch weniger Jobs in diesem Jahr. Nur vom Vulkan gab‘s viel. Zu viel. Selbst die Isländischen Medien haben überspitzt, dramatisiert, übertrieben. Von der Weltuntergangsstimmung in den EU Medien ganz zu schweigen. Nach der Bankenkriese: Tourismuskriese. Hoffen auf die nächste Saison, „jeder kennt jetzt Island“ – bad news are good news.
Mit dem Bike über feuchten Lavasand. Fast wie Asphalt. Das Alter der Berge wird sichtbar. Sie sind Jung, sehr Jung. Abgerutschte Hänge, vom Moos überwucherte Rinnen, Berge vom Regen zerfressen. Flach und steil, rund und eckig, glatt und zerfurcht. Die Erde lebt, atmet, pulsiert in Farben die jeder menschengemachten Farbpalette Hohn sprechen. Ein Ranger zeigt ein Foto vom letzten Jahr. Der Berg war grün. Heute ist er schwarz. Ein heftiger Regenschauer hat das Moos heruntergespült wie Wind das Herbstlaub herunterweht. Ein paar Kilometer weiter ein Berg strahlend weiß. Hagel hämmert auf den Helm. Für einige Minuten „Winterwonderland“. Auf der Piste bilden sich kleine Bäche, graben Furchen in den weichen Untergrund. Der weiße Zauber geht, die zauberhafte Landschaft bleibt.
Feiner Staub dringt durch das Tuch vor dem Mund. Gelblicher Nebel verkürzt die Sicht auf zwei, drei hundert Meter. Nach zwei Tagen ohne Regen reißt der Wind feinste Aschepartikel aus dem trockenen Boden, schiebt sie wie Wogen im Meer über das Land. Langsam fahren, die Atmung kontrollieren, die Augen zum Schlitz verengt. In jede Pore, jede Ritze, jede Öffnung dringt der Staub. Die Kette jault ihr Klagelied. Nach zwei Stunden legt sich der Spuk. Konturen werden sichtbar, die zerrissene Struktur der Landschaft kehrt zurück.
Spiegelglatt liegt der Laufavatn vor dem Zelt. 5 Uhr morgens, windstill, wolkenlos. Um 7 auf dem 1189m hohen Gipfel des Laufafell. Die Sicht ist diesig. Der leichteste Wind wirbelt feinste Aschepartikel in die Luft. Trotzdem ist die Aussicht atemberaubend. Im Süden bläst der Eyjafjallajökull eine einsame Dampfwolke in die Luft. Davor grüne Krater, schwarze Lava, gelbes Gestein, zerfurchte Berge. Östlich quellen Dampffahnen zwischen den Bergen hervor, das Geothermalgebiet rund um Landmannalaugar liegt zu Füssen. Wolken- und bewuchsfrei erhebt sich aus karger Landschaft die Hekla majestätisch im Westen. Nach Norden gleitet der Blick über ein paar niedrige, schroffe Berge und bleibt an weiß funkelnden Gletschern hängen. Ich bleibe bis aufkommender Wind die ersten Wolken vor die Sonne schiebt.
0 Meter zum Ziel. 63°59´21 Nord, 19°03´56 West. Das GPS zeigt unbestreitbar was mein Kopf noch nicht realisiert hat. Ich stehe am ersten erreichten Punkt meines Weltreiseprojekts. „Show me the World“ Punkt Nummer 14 liegt auf einer Lavaabraumhalde etwas oberhalb vom Campingplatz Landmannalaugar. Es ist kurz nach 7 Uhr, keiner sieht mich ausgelassen um einen kleinen, für die meisten wohl bedeutungslosen Stein herumhüpfen und singen. Für mich ein erster Schritt der die Welt bedeutet.
Vier Wochen habe ich mit dem Bike Island erkundet. Insgesamt über 1350km, davon ca. 900km auf Schotterpisten, erradelte ich meist abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Natürlich durften auch ein paar „Highlights“ nicht fehlen.
Alleine mit dem Bike zu reisen ermöglicht es die Weite und Stille des Hochlands, Gegenden wie das mystische Landmannalaugar, die nordisch ruhigen, aber sehr gastfreundlichen und aufgeschlossenen Isländer und sich selbst hautnah und ohne Filter zu „erfahren“.
Material, Körper und Psyche werden im Isländischen Hochland hart gefordert. Ohne Vorbereitung, dem richtigen Material und einer ordentlichen Portion Leidensfähigkeit gleicht eine solche Tour dem sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan. Nicht von ungefähr gehen im jährlichen Durchschnitt 4 Anrufe täglich von Touristen in Notsituationen bei den Rettungsbehörden ein. Wer es nicht so weit kommen lässt, den erwartet eine atemberaubende, unvergessliche Reise.
Christian
War im Sommer mit Freundin und Kumpel mittels Wohnmobil auf Island unterwegs, das war aber stinklangweilig. Dein Projekt gefällt mir da schon besser. Obwohl mir der Wind wohl ziemlich auf die N***e gehen würde. :)
Weiter so!
Yura from Kiev
Hi !
Great movie! Liked it!
How many days was the cycling trip, and at what date?
These are our cycling trip, 2009 http://velozapovednik.livejournal.com/1346.html
showmetheworld
Hi,
thanks for comment, nice page!
I was on Iceland from 26th june to 27th of july. On 26 days i was riding.
piotr
interessante aufnahmen plus gelungener zusammenschnitt. tolle arbeit! rückenwind! :)
17.06.2011 19:41:36Jakob
schöne Foto/Film Collage!! wir waren letztes Jahr zur gleichen Zeit auf Island mit den Rädern unterwegs, besonders das Hochland ist immer wieder eine Reise wert!
02.07.2011 14:08:04Schmid, Karl-Heinz
Hallo Stefan, wir trafen uns kürzlich auf dem Bike nach Freiburg. Wir unterhielten uns über Island und deine Absichten. Wünsche dir stets Rückenwind. Alles Gute Karl-Heinz
Mike
Ein Super Video, eine tolle Idee und wir drücken die Daumen für den Start zum neuen Vorhaben.
02.01.2012 01:10:33Peter Eich
Tolles Video, war selbst letztes Jahr in Island, allerdings mit dem Auto, und ich habe JEDEN EINZELNEN Radfahrer, der mir begegnete, um seine Fortbewegungsart beneidet. Dein Film trifft auf meinen Entschluss das nochmal mit dem Rad zu machen.
(http://www.bodenseepeter.de/2011/12/05/island/)
Hannah
Ein geiles Video. ich selbst war leider noch nicht da, aber die Planung für 2014 ist schon den den Grob-Zügen. Gibt es noch irgendwelche MUST-DO´s?
28.09.2012 16:42:04Mathias
Einfach großartig, danke für den auch sehr gut geschriebenen Bericht! Und die Fotos sind auch erste Sahne!
Wie sieht deiner Einschätzung nach die Lage Mitte April aus? Wären da Teile der Tour nicht fahrbar?
Danke und alles Gute für deine zukünftigen Reisen
showmetheworld
Hi Matthias,
Mitte April dürfte der Großteil der Tour nicht (oder nur extrem erschwerten Bedingungen) fahrbar sein. Die Hochlandstrecken werden i.d.R. erst ab Mitte Mai / Anfang Juni geöffnet, vorher ist unklar ob z.B. Brücken oder Teile der Straßen zerstört wurden. Schau mal auf http://www.vegagerdin.is/english/ da findest Du entsprechende Informationen zum Straßenzustand.
Viel Spaß beim Planen, Stefan
mikee Clarke
Hi there I'm looking to do a trip this yr was wondering if u have a gpx of ur route I could possibly have alook at please.. your pictures are amazing thanks Mike
11.02.2014 00:59:56showmetheworld
Hi Mike,
Sorry for my late answer I've been away from good internet for some time.
You can see the route in the first google Map on the right side, and direct unter it, there is the link to the GPX file.
Stefan
Info
verwendete Ausrüstung
Wetter: en.vedur.is
Straßenzustand: www.vegagerdin.is
Radreiseführer: bikingiceland.com
Kostenfreie, digitale Karte (für Garmin GPS): www.ourfootprints.de
Anregungen, Tipps, Fotos und weitere Links: www.paisland.de
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