Fiesta Costumbrista 

Villa O’Higgins. 400 Seelen Nest am Sackgassenende der Ruta 7, der Carretera Austral. Noch tummelt sich nur eine kleine Handvoll Touristen auf der örtlichen Fiesta Costumbrista, dem Rodeo, dem Volksfest. Deutschen Volksfesten in ländlichen Gebieten durchaus nicht unähnlich: eine mittelmäßige Kapelle spielt, mittelmäßiger Kaffee, Kuchen, Bier und Snacks werden an mittelmäßigen Ständen zu unmäßigen Preisen verkauft, die Kinder springen in der Hüpfburg, den harten Alkohol gibt’s bei der Feuerwehr. Soweit so bieder, so langweilig, so gewohnt. Doch ums Eck braten am Spieß ganze Lämmer am offenen Feuer, donnern ab und an wildgewordene Pferden über den Platz, werfen Männer einen metallbeschlagenen Kuhfuß und wetten um Geld auf welcher Seite er liegen bleibt. Zu später Stunde auch mal um nicht ganz unerhebliche Summen.
Und dann sind da die jungen Wilden die sich mit den jungen, wilden Pferden messen auf der Suche nach Kick, Anerkennung und Applaus. Ungezähmte Pferden werden vor einer Tribüne an einen Pfahl gebunden und gesattelt, der junge Reiter steigt auf, hält seine Peitsche bereit. Ist das Seil gelöst wird auf das Pferd eingedroschen, mit aller Gewalt versucht das Tier den „Reiter“ ab zu schütteln, springt, bockt, hüpft, prescht unter den kritischen Augen der Besucher über den Rasen. Je wilder das Pferd, je spektakulärer der Ritt desto mehr Applaus, Ahhhs und Ohhhs von der Tribüne. Bis der Reiter abgeworfen oder nach 30 Sekunden eine Pfeife ertönt. Dann werden die meisten Pferde ruhig, sie kennen das Spiel bereits. Wer sitzen blieb kommt mit stolz geschwellter Brust zurück, andere humpeln beiseite, manch einer muss gestützt werden. Doch jeder grinst, für jeden gibt es Applaus und Anerkennung von den „alten“ Gauchos. Ist der Sieger ermittelt wird – so die Ankündigung – „der unbesiegbare“, „die Maschine“, „der alles abwerfende Hengst“ hervor geholt und angebunden. Selbstverständlich, auch der Sieger fällt lange bevor die erlösende 30-Sekunden Pfeife ertönt.
Nach der Siegerehrung Wechsel in die eigens errichtete Arena, Lasso werfen. Wieder eine Handvoll junger, wilder Pferde. Durch Schläge, Tritte und Schreie in Panik versetzt hetzten sie durch die Arena, die Männer schwingen, werfen die Seile. Liegt das Lasso um die Pferdebeine versucht der Werfer das Tier zu Fall zu bringen. Je spektakuläre – auch Saltos sind drin - desto besser, desto lauter der Applaus und die Rufe von der Tribüne.
Abends zum Tanz in die Gemeindehalle. Hier spielt sich ein sonderbares wenn auch praktisches Ritual ab. Die Band spielt ein Lied an und ein paar Takte lang bleibt die Tanzfläche leer. Komplett leer. Wie auf ein geheimes Zeichen springt dann Jung und Alt – zumindest die absolute Mehrheit  - in die Mitte und tanzt als hätten sie nie aufgehört zu tanzen. Erklingt die letzte Note stürzt jeder –wirklich jeder – zurück zum Tisch, nimmt das unterbrochene Gespräch, das abgestellte Glas oder die abgelegte Zigarette wieder auf, spricht, trinkt und raucht als sei nichts gewesen. Bis nach einer angemessenen Pause die nächsten Takte des nächsten Liedes erklingen.

 

Heinrich meint: „mmhhhhpppffmhlpmürgelbrümpf
 (Zur Erklärung: als internationaler Verfechter der Elchrechte fühlte sich Heinrich durch den Umgang mit den Pferden natürlich auch persönlich angegriffen. Nach ersten erfolglosen Versuchen des Protests (Flyer verteilen – wurden zum anfeuern des Asados verwendet, Sitzblockade – man ging halt außen rum so groß ist er nun auch wieder nicht, Hungerstreik – schallendes Gelächter als Heinrich nach 10 Minuten zum Heu griff und Protestgesängen – die schwedische Sauflieder wurden mitgegrölt) entschied Heinrich das die Zeit des gewaltlosen Widerstandes vorbei und es Zeit für „ordentlichen“ zivilen Ungehorsam sei. Mit einer Kiste „Pisco“ (Destillat aus Traubenmost) bewaffnet zog er sich zum Molotow Cocktail bauen zurück und wurde einige Stunden später schwer betrunken, mit Brandflecken im Fell marodierend im Pferdestall von der Gendarmerie aufgegriffen. Die Anklage beinhaltete unter anderem Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung, Exhibitionismus, Trunkenheit, Landfriedensbruch, Beamtenbeileidung, versuchte Körperverletzung und einiges mehr. Nachdem er den Beamten die Ohren blutig gelabert hat, wurde er mir aber unter der Bedienung den Knebel „ein paar Tage“ drin zu lassen tags darauf außerhalb der Stadtgrenze übergeben.)

Die Band spielt Es geht ums Geld Dann wird geworfen und einer hat gewonnen Asado chilean Lagebesprechung Ein Pferd wird gebracht letzte Vorbereitungen Aufsitzen Leinen los Nicht weit is für manch schluss Sieht doch eigentlich Die meisten schauen interessiert Und nochmal und weghüpfen der unbesiegbare kriegt auch den Sieger klein Siegerehrung Areana Pferd rennt flying Horse und rutscht Und abends

 

Am Rande: der Umgang mit den Tieren war für mein europäisch geprägtes Verständnis von Tierschutz und Tierhaltung größtenteils unverständlich, oft erschreckend. Dennoch möchte ich mir aufgrund fehlender Sprach- und Kulturkenntnisse und als eingeladener bzw. geduldeter Fremder nicht anmaßen darüber zu urteilen sondern nur zu beobachten. In ein paar wenigen Gesprächen äußerte ich vorsichtig meine Meinung und stieß nicht immer auf Verständnis. Einer der klügeren Gesprächspartner zog den Vergleich zur europäischen Massentierhaltung wo der Platz pro Tier mit wenigen Quadratmetern (mit Glück…) bemessen wird, wohingegen hier unten eher in Hektar gerechnet wird. Ganz Unrecht hat er nicht.

 

Ein Kommentar 

 
 

Geoff and Sarah

Hey Stefan!
From my bad German I'd guess you are on the Carretera Austral! We have now arrived in Buenos Aires having found a truck to take us from Ushuaia (86hours), which we reached on the 5th March.
Thank you once again for your help with our computer (you fixed the wifi problems) and Good Luck for the route to where-ever!
Geoff and Sarah

12.03.2013 19:37:36

 

 
 

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