Wintertour Solo – Rogen 2006 

[Text & Fotos: Stefan Böhm]

 

Früh morgens wache ich auf, ich liege auf dem Beifahrersitz meines Autos irgendwo auf einem einsamen Rastplatz in Schweden. Obwohl ich alle Fenster einen Spalt breit offen gelassen habe sind die Scheiben dick mit Eis beschichtet. Durch einen Spalt sehe ich Männer mit Gewehren vor dem Auto! Der Schreck fährt mir tief in die Knochen, durch meine Bewegung haben mich die Männer entdeckt!

schwer beladen
schwer beladen

Schnell wird aber klar dass es nur Jäger sind die sich hier früh morgens zum Jagdausflug treffen. Als ich Ihnen erzähle was ich vorhabe, wünschen sie mir viel Glück und ziehen in den Wald.

Ich koche mir einen Kaffee und langsam kehren die Lebensgeister zurück. Ein kurzes Frühstück und schon sitz ich wieder im Auto, die letzten Kilometer zum Rogen hinter mich bringen. In Tannas buche ich ein Zimmer in der STF Stugan, ich scheine der einzige Gast hier zu sein. Zwei Nächte möchte ich hier verbringen, die Ausrüstung packen und mich von der Anfahrt erholen.

 

Wegweiser im See
Wegweiser im See

Endlich geht es los! Mit dem Auto geht’s ein paar Kilometer weiter zu einem Parkplatz, hier werde ich es für zwei Wochen stehen lassen. Das Pulka ziehe ich fertig bepackt aus dem Auto, Ski an die Füße und schon geht es los in Richtung Wildnis. Na ja, so ganz Wild ist es hier noch nicht, ich bewege mich auf der Scooterstraße zum Rogen und alle paar Stunden knattern laut und stinkend die Schneemobile an mir vorbei. Zügig komme ich voran und erreich die Rogenstugan gegen Nachmittag. Ich entschließe mich den See zu überqueren und an einer kleinen Windschutzhütte mein Lager auf zu schlagen. In weitem Bogen umgehe ich den Bach der an dieser Stelle in den See fließt, hier ist das Eis oft dünner und nicht tragfähig. Viel zu weit laufe ich um den Bach herum und ich muss mich zum Schluss durch schwer verblocktes Gelände kämpfen. Immer wieder kippt am Schräghang im Tiefschnee mein Pulka um. Das Zuggestänge ist verbogen, sogar einen Zacken am Schneeschuh verbiege ich mir an einem Stein unterm tiefen Pulverschnee. Mit Ski wäre hier kein Durchkommen.

 

komfortables Nachtlager
komfortables Nachtlager

Abgekämpft erreiche ich die offene Windschutzhütte, sogar ein paar Holzscheite liegen bereit und so liege ich bei einem kleinen Feuerchen im warmen Schlafsack.

Minus 24 Grad zeigt mein Thermometer am nächsten morgen. Noch nicht an die Kälte gewöhnt koche ich im Schlafsack eingepackt erst einmal einen Kaffee. Lange brauche ich um warm zu werden und das Gepäck zu packen. Ich laufe am Ufer entlang und nach einigen Metern traue ich mich wieder auf das Eis. Der Bach ist weit genug weg. Bald treffe ich auf die Scooterspur die zum Bredasjön führt. Ich brauche ein paar Stunden um das schwere Pulka mir bis zum höher gelegenen See zu ziehen. Durch die Belastung lösen sich einige Schrauben an der Bindung meiner Skier. Gut dass ich Werkzeug dabei habe. Am späten Nachmittag erreiche ich eine Schutzhütte am Bredasjön. Zwei Sami haben in der Nähe ihr Lager aufgeschlagen, sie sind zum Eisfische hier. In einer kleinen selbst gebauten Hütte laden sie mich zum Abendessen ein, schwarz gebrannter Vodka sorgt für eine innere wärme… Sie erzählen von Ihrem unsicheren Leben. Beide haben keinen Job, "wir schlagen uns so durch" erklären sie. Aber "hier, hier in der Wildnis ist das Leben gut" lallt der Ältere - und gießt sich einen weiteren ein. Der Jüngere erzählt von seiner Frau und seinen Zukunftsplänen.
Spät ziehe ich mich in meine Hütte zurück.


unglaubliche Farben
unglaubliche Farben

Früh stehe ich auf und bringe die Bindung in Ordnung, sie sollte wieder halten. man kann zwar auch auf Schneeschuhen gehen, damit ist man aber um einiges langsamer als auf den langen Cross Country Skier.

Ich folge weiter einer Scooterspur die mich in das Langfjällets Naturschutzgebiet bringt. Durch grandiose Landschaft schlängelt sich der Weg über tief verschneite Seen. Der Scooter Verkehr hat deutlich abgenommen. Nach etwa 15km Wegstrecke schlage ich mein Lager an einem Sommerrastplatz auf. In einer kleinen Hütte ist ein Plumpsklo unter trockenes Feuerholz untergebracht, ein Lagerfeuer wärmt mich. Nichts ist zu hören, nur das Feuer knackt hin und wieder beruhigend. Ich schlafe herrlich in der klaren, kalten Winterluft.


Ein ausgiebiges Frühstück stärkt für die kommenden Anstrengungen. Ich folge vorerst weiter der Spur über den See. Kurz nach der Hävlingsstugorna biege ich in Richtung Osten ab. In weitem Bogen über eine Hügelkette möchte ich wieder zurück in Richtung Rogen. Steil steigt der Weg vom Seeufer in Richtung einer Hochebene. Die Baumgrenze bleibt weit unten. An See erreiche eine kleine Schutzhütte, Typ Biwakschachtel. Den Tag über hat sich das Wetter stetig verschlechtert, der Wind bläst immer kräftiger. Ich bin froh heute Nacht ein festes Dach über dem Kopf zu haben!

 

Sturmschutz
Sturmschutz

Im Laufe der Nacht steigert sich der Wind zu einem ausgewachsenen Sturm. Ich sitze fest in dieser Hütte. Auf 7qm richte ich mich häuslich ein um den Sturm aus zu sitzen. Diese völlige Ausgesetztheit alleine mitten in der Wildnis fasziniert. Der Wind bläst mit bis zu 120km/h spitze. Wenn ich Holznachschub für den kleinen Ofen brauche muss ich mich komplett einpacken. Gamaschen, Sturmhaube und Skibrille sind Pflicht. Die Vorratshütte steht keine 60 Meter neben der Schutzhütte steht. Das Vorratshäuschen ist innen genau so weiß wie außen, selbst das Plumpsklo ist bis oben hin mit Schnee voll geblasen. Ich muss erst Aufräumen, bevor ich Holz hacken kann. Eine gute Ablenkung, alleine Unterwegs muss man sich ständig beschäftigen.
Zurück in der Wohnhütte wird kräftig eingeheizt und ich mache es mir mit einem Buch bequem. Keine Wetterbesserung in Sicht, den ganzen Tag verbringe ich mit Lesen, Essen und Holz holen. Der Wind zerrt am Hüttendach und immer wieder knarzt es verdächtig im Gebälk.
Die zweite Nacht im Sturm beginnt, ich schlafe unruhig. Immer wieder scheppert der Kamin, der Ofen verbrennt unglaublich schnell das Holz, obwohl alle Regelklappen geschlossen sind. Nach spätestens zwei Stunden ist es in der Hütte nicht mehr viel wärmer als draußen. Irgendwann schließlich übermannt mich die Müdigkeit und ich schlafe ein paar Stunden tief im Schlafsack eingepackt.
Ich wach auf, die Brille liegt neben mir. Ich denke noch „oh schön hell hier drin, da muss doch tatsächlich die Sonne herausgekommen sein!“. Ich greif mir die Brille und erkenne erst jetzt die Bescherung. Der Wind hat feinen Schneestaub durch Ritzen nach innen geblasen. Die Hütte ist halb verschneit, deshalb ist es so hell!

 

festgeeist nach zwei Tagen Sturm
festgeeist nach zwei Tagen Sturm

Gegen Mittag legt sich der Wind ein bisschen. Kurzentschlossen packe ich meine sieben Sachen. Das Pulka liegt neben der Tür und ich brauche fast eine halbe Stunde um es aus dem gefrorenen Gemisch aus Schnee und Eis heraus zu schlagen. Der Sturm hat es regelrecht am Boden fest gebacken.
Leicht bergab geht es weiter, die Scooter spur ist nicht mehr zu sehen. Der Wind nimmt wieder zu und ich erreiche nach kurzer Zeit die Storrödtjärnstugan. Nur ca. 4 km habe ich hinter mir, da der Wind immer weiter zunimmt quartiere ich mich hier ein. Die Hütte ist auch im Winter bewirtet, der Wirt hat schon seit drei Wochen keinen Besuch mehr gehabt. Wir freuen uns beide über ein bisschen Gesellschaft. Leider spricht er kaum Englisch und nur wenig Deutsch, ich kann leider quasi kein Schwedisch. Trotzdem sitzen wir gemeinsam bis spät in der Nacht zusammen. Er hat mich zum Fischessen eingeladen, ich spendiere ein paar Runden Tee mit Rum. Wir lachen viel und herzlich, besonders über unsere unglücklichen Versuche uns verständlich zu machen.

Frisch erholt stehe ich früh auf und die weiße Welt begrüßt mich absoluter Windstille und Sonnenschein. Zügig packe ich das Pulka und stelle mich auf die Ski. Stetig bergab geht es flott in Richtung Rogen. Als ich den See erreiche ziehen schon wieder dunkle Wolken auf. Ich plane an einer Windschutzhütte kurz vor der Rogenstugan zu übernachten. Auf halbem Weg dorthin fängt es an zu Schneien. Dicke Schneeflocken versperren mir die Sicht. Nur langsam komme ich voran und so erreiche ich erst spät die Windschutzhütte.


wie am Yukon :)
wie am Yukon :)

Der Morgen entschädigt. Glasklar liegt der blaue Himmel über dem weißen Land. In der Rogenstugan erkundige ich mich über das Wetter an den nächsten Tagen. Der Sturm soll nun endgültig vorbei zu sein. Ich ziehe nördlich in Richtung der kleinen Schutzhütte in der wir schon auf unserer Kanutour ein paar Tage verbracht hatten. Ich möchte von dort aus ein paar Touren ohne Gepäck in der näheren Umgebung machen. Sonne begleitet mich den ganzen Tag, eine Gruppe mit Hundeschlitten überholt irgendwann. Über den flachen See komme ich zügig voran, am späten Nachmittag erreiche ich die Hütte.

Am nächsten Tag erkundige ich die nähere Umgebung. Quer durch den Wald laufe ich auf einen Berg zu den ich besteigen möchte. Ohne Pulka komme ich schnell höher, quere einen eher flachen Hang. Plötzlich gibt es ein dumpfes Geräusch – „whuuuump“. Der Boden unter mir scheint zu verschwinden. Der gesamte Schneehang rutsch einen halben Meter runter, bleibt dann aus unerklärlichen Gründen wieder hängen. Angstschweiß tritt auf meine Stirn, nicht aus zu denken wenn ich hier alleine in einer Lawine den Hang herunter gespült werde. Schnell aber gleichmäßig und vorsichtig taste ich mich zu einer flachen Terrasse vorwärts. Den Plan den Gipfel zu besteigen lasse ich umgehend fallen. Ich mache eine ausgiebige Pause, genieße die unglaubliche Aussicht und schaue mir die Optionen für den Weg herunter an. Ich habe die Wahl zwischen einem völlig vereisten, dafür aber wohl stabilen Hang oder den selben Weg zurück. Dann lieber Eis. Fluchend und rutschend kämpfe ich mich den Hang herunter, nein mit einer gemütlichen Tiefschnee abfahrt hat das nichts zu tun. Quer durch den Wald geht es zurück in Richtung Hütte. Abends komme ich abgekämpft aber glücklich an der Hütte an. Ein kräftiges Abendessen beschließt den wunderbaren Tag.

Revbua
Revbua

Ich lege noch einen Ruhetag in der herrlichen Hütte ein und verbringe den Tag mit lesen, durch den Wald streifen und lasse mich treiben.


Tags darauf packe ich wieder das Pulka und laufe über den See zurück zur Rogenstugan. Auch heute herrscht feinstes Winterwetter, die Strecke ist angenehm. Recht früh erreiche ich die Hütte und komme mit zwei schwedischen Eisfischern ins Gespräch. Ich bleibe für die Nacht, abends kommen die letzten Leckereien aus meinen Taschen auf den Tisch. Bis tief in die Nacht sitzen wir in der warmen Stube. Bei interessanten Gesprächen vergeht die Zeit wie im Flug und erst weit nach Mitternacht treibt es uns alle in die Schlafsäcke.


Abschied
Abschied

Ich starte trotzdem früh in Richtung Auto. Auf dem Weg zur Zivilisation begegne ich immer häufiger Scooterfahren. Lange bevor man die Maschinen sehen kann, hört man die knatternden Motoren. Ein schnelle, einfache aber langweilige Art sich fort zu bewegen. Da ziehe ich lieber in Ruhe mit Ski und Pulka langsam durch die verschneite Landschaft.

Irgendwann erreiche ich mein Auto, packe die Sachen hinein und sage leise Tschüss. Eine herrliche Tour geht zu Ende, beeindruckt und fasziniert vom Reisen allein bleibe ich noch weitere zwei Tage im Norden bevor es endgültig heißt "Abschied nehmen".

 

 

verwendete Ausrüstung

 

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